Autonomie der Gegensätze

Rudolf Draheim & Peter Rüwe

19.09. bis 31.10.2021

Dora Hitz, Bildnis eines kleinen Mädchens, vor 1897
Öl auf Leinwand

Rudolf Draheim

Mut, Zustand und ein wenig Anarchie

Schon früh hatten die Bilder von Rudolf Draheim die Tendenz die grundsätzlichen Probleme der Malerei zum Ausdruck zu bringen, indem sie diese in ihrem ganz eigentlichen Medium der Farbe thematisieren und hervorbringen: als affektive Erkenntnis. Für ihn haben allein Bilder, die in ein Leben eingreifen können, einen Wert. Das hat mit seinem Mut zu tun, im jugendlichen Alter von vierzig auf die Malerei als Lebensaufgabe zu setzen.

Von Anfang an konzentriert er sich auf die Autarkie der Farbe als Ausdrucksmittel. Für ihn wäre es nur eine Spielerei gewesen, Gegenständen oder Formen in seine Malweise einzusetzen. Zudem ein Verrat für seine Auffassung der Farbe, die autonom ein vielschichtiges Leben und eine einzigartigen Ausdruck hat. Seine Arbeitsweise, Farbe zu verteilen und die bereits aufgebrachte aufzuschürfen, geht nicht davon aus ein Bild vor Augen zu haben, wenn er sich der Leinwand nähert, sondern nutzt die Anarchie von Einfall und Zerstörung, um es in seiner Einmaligkeit hervorzubringen: es fliegt ihm gleichsam zu. Um ohne Gegenstände oder Formen arbeiten zu können, braucht es einer langen kulturellen und künstlerischen Erfahrung – einer inneren Welt. Deshalb meditiert Rudolf Draheim vor dem Akt des Malens, um aus einen Zustand der Leere in das Bild einzugreifen, damit diese vibrierende Lebendigkeit entstehen kann, die eine Besonderheit seiner Bilder ist. Dieses völlige Losgelöstsein und ein Denken ohne Begriffe ermöglicht, mit Farben auf dem Weg zu ihrem Innersten zu denken und sich überraschen zu lassen. Die Aufgabe ist es, nicht die Natur, sondern die eigene Natürlichkeit auszudrücken und damit eine Entgleisung zur Selbstverständlichkeit zu erreichen. Pierre Bourdieu nennt dieses Ergebnis „gemacht haben“ und „geworden sein“. Rudolf Draheim kennt die brüchige Gegenwart und den Umbruch existenzieller Werte. Die Konsumgesellschaft zehrt alle Fragen auf, die Vergangenheit wird obsolet, die Menschen verlieren ihr Selbst. Als Folge wird die Identität butterweich und beginnt zu zerfließen. Über einem gedämpften Grün, der Farbe von Leben und Tod, einem winzigen Blau von Himmel und Abgrund und in einem Gelb in seiner dramatischen Unveränderlichkeit tobt ein mitreißendes „Purpurn“, als sei die Schlacht von Magenta noch nicht entschieden, obwohl der blutgetränkte Boden der Farbe ihren Namen gab. Leuchtende Farben im heftigen Gegeneinander rufen ein unaufhörliches Werden von Zerbrechlichkeit und Stärke auf. Es fordert den genauen existenziellen Blick, der sieht, was uns umgibt, das Schöne wie das Schreckliche.

Eckart Britsch

Peter Rüwe

„Kunst ist ein geistiger Vulkanismus, der seine Lava in die Landschaft ergießt, beste Voraussetzungen für künftiges geistiges Wachstum bietet und gegebenenfalls im Nachhinein von Kunstwissenschaftlern kategorisiert und von Hermeneutikern gedeutet wird“, so Peter Rüwe über sein Leben als Maler. Das unmittelbare Schaffen ist ihm wichtiger als ein feststehendes Konzept, das über Jahrzehnte durchgehalten und bedient wird. Er verlässt sich darauf, dass jeder Mensch, so auch er, einen Wesenskern hat, dem die Treue zu halten ist. Er sagt von sich selber, dass er schon zu Beginn seiner Arbeit halb bewusst einen Vertrag mit sich geschlossen habe, Bilder zu malen, welche Widersprüche als Merkmal von Lebendigkeit zulassen. Zwangsläufig muss so ein vielgestaltiges Werk entstehen, das einen Untergang und Scheitern als Maler wahrscheinlich machte, gäbe es nicht überaus klar gesetzte Ordnungsschnitte in seinem Werk, sowohl formal als auch inhaltlich: Menschen, Pflanzen und Tiere, über nichts anderes spricht Peter Rüwe in seinen Bildern, ohne von der Natur auszugehen, ohne zeitliche Bezüge, in autonomen Farben und neu erfundenen Formen. Reinhard Rakow: „Das Universum Rüwe und seine Bilderwelten wurzeln in der ambitionierten Auseinandersetzung des Künstlers mit den großen klassischen Themen der Antike: Mensch und Natur, Mensch und Natur und Gott, Entstehen und Vergehen, und so kann das völlige Fehlen von Zeitbezügen keinen verwundern. Dieses Universum ist frei von Technik. Es entbehrt jeglicher Verbindung zu dem, was homo faber zu produzieren im Stande ist, kein Auto, kein Haus, kein Kleid verunklart das Denken, lenkt ab vom Wesentlichen. Rüwes Menschen sind nackt und in dieser Nacktheit Chiffren der Zeitlosigkeit, die alle und alles umfängt.“ Die Grenzberührungen mit dem Abstrakten und Gegenstandslosen sind ihm wohlvertraut, überschritten hat er diese Grenze entschlossen nicht. Gerade deshalb erfordert die Organisation der Fläche eine geistige Durchdringung der Gestaltungsmittel, um auch dem abstrahierenden Sehen Genüge zu tun und nicht Gefahr zu laufen, es in seiner Malerei beim Inhaltlichen bewenden zu lassen. Farbe und Form wollen verstanden werden, um sie für Kooperationen zu gewinnen.